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Hajo Seng: Kunst

Poesie des Übergangs Intro Wochen Programm Filme Kunst todeszeichen


Erste Woche: "Vergänglichkeit: Ewig währt am längsten"

Das europäische Bewusstsein hat sich seit der griechischen Antike in dem unüberbrückbaren Gegensatz von Ewigkeit und Vergänglichkeit entwickelt. Im neuzeitlichen Denken ist das Ideal menschlichen Lebens in der Freiheit und Allmacht des Subjekts, wahlweise als Individuum oder als Kollektiv, verkörpert; ein Lebensideal, in das die Tatsache des Todes nicht so recht passt. Der Tod muss verdrängt werden, um den Schein des autonomen Subjekts aufrecht zu erhalten. Beginnen soll die Reise mit einer Art Spurensuche: Wo ist Tod im Leben präsent? Lassen sich Leben und Tod als Gegensätze verstehen oder bedingt nicht eher das eine das andere?

Die Kurzfilme: Anders als feierliche Bestattungen vermuten lassen, hat der Tod ein durchaus lustvolles Gesicht und tritt in Rausch und Ekstase zum Vorschein als fast unwiderstehlicher Drang nach Auflösung. Auf der Suche nach dem kleinen Tod soll der von COC präsentierte Kurzfilmabend zu Beginn dieser Reihe ein erster Wegweiser sein; die Kurzfilme werden sich daher durch das weitere Programm winden.
Der müde Tod: Zeitsprung: Ein Klassiker zum Thema mit einer ganz und gar unklassischen musikalischen Begleitung: Y-Ton-G erzeugt dazu auf seinen Holz-, Stein- oder Stahlobjekten den Klang.
Wenn der Tod eine alte Hure ist?: Eine Performance vom Reservat Homo sapiens / Kurt Knäpper. Steinsein ist ein Bild des Ideals zenbuddhistischer Meditation, die Erinnerung an das Hervorkommen der Zeit aus dem unbewussten und unsagbaren Ewigen und an ihr Versinken darin.

Zweite Woche: "Grenzregionen: Jenseits und diesseits von Leben und Tod"

Wenn von Tod die Rede ist, sind häufig zwei Grundbestimmungen des Daseins vorausgesetzt, Leben und Tod, die scheinbar schwer miteinander in Beziehung zu bringen sind. Wie vollziehen sich die Übergänge? Ist mit dem Wittgensteinschen Sprichwort, den Tod kann man nicht erleben, tatsächlich schon alles gesagt? Oder ist nicht Leben ein ständiger Übergang, ein ununterbrochenes Werden und Vergehen und Tod eine, wenn nicht die zentrale Lebenserfahrung? Gräber und Grabbeilagen zählen zu den ältesten kulturellen Zeugnissen, die man kennt, weshalb mit gewisser Berechtigung die Anfänge des Menschseins auch in Verbindung mit einer bestimmten Form des Bewusstseins vom Tod in Verbindung gebracht werden kann. Friedhöfe sind die Orte, an denen der Übergang vom Leben zum Tod künstlerisch zum Ausdruck gebracht wird: in Grabsteinen, Skulpturen, der Anlage des ganzen Geländes. Anders als die Kunst der Museen und Galerien ist diese Kunst vor den Betrachtern dem Zerfall ausgesetzt und wird daher oft nicht als Kunst wahrgenommen. Kultur auf Friedhöfen ist also in zweifacher Hinsicht Kultur im Übergang.

Dokumentationen zu Bestattungen: Es gibt Regionen auf der Erde, wo es üblich ist, die Leichen Verstorbener in Stücke zu zerschneiden und von Geiern oder Hunden bis auf das Skelett auffressen zu lassen; des einen Tod ist des anderen Le­ben. Es gibt auch Regionen der Erde, da ist es undenkbar, das Verhältnis von Leben und Tod so darzustellen, wie es aller Erfahrung nach ist. Nach Robert Spaemann beginnt die Zivilisation des Tötens da, "wo Sterben nicht als Teil des Lebens verstanden und kultiviert wird".
Meermanns Baumhaus / Anja, Bine und der Totengräber: "Es wird vergehen" heißt die Inschrift auf einem Ring, der in Zeiten der Trauer Freude, in Zeiten der Freude Trauer bewirken soll, um die Gegensätze auszugleichen; so ein persisches Märchen. Wo Leben und Tod auseinander treten und gelebt wird, als gäbe es kein Sterben, zeigt der Tod ein unerbittliches Gesicht: skurril und traurig zugleich.
Plötzlich und unerwartet: Der Elefant aus Elfenbein: sind zwei Filme in einem. Hier wird unter anderem die Ewigkeit in zweierlei Hinsicht thematisiert: als Stillstand, der Film wird zum Bild, und als eine Geschichte, die genau da aufhört, wo sie anfängt, als ständige Wiederholung. Auch die Vorfilme Die Tränenphiole und Die wunderbare Welt der Skelette greifen das Thema Bewegung und Stillstand auf.

Dritte Woche: "Übergänge: Poesie und Tod"

Kunst ist kreativ, indem sie das, was sie aufzeigt, so zeigt, wie es sich selbst zeigt. Künstler sind Schöpfer und Geschöpfe ihrer Werke zugleich und befinden sich in einer Region, die die Unterscheidung von Leben und Tod nicht kennt. Tod ist aus dieser Perspektive betrachtet Erfahrung und nicht erfahrbar zugleich, das haben die ersten beiden Etappen gezeigt. Die dritte Etappe widmet sich der Frage: Wenn Tod nicht erfahren wird, was wird dann erfahren, wenn von Tod die Rede ist; wie kann Leben tot sein? Hier stellt sich eine sehr nackte, unverklärte Poesie dar, wie sie von Jean Cocteau zum Beispiel dargestellt wurde. Die vierte schließt dann die Reihe ab mit der Frage, was es heißen kann, Tod zu erfahren.

Kinder der Nacht: Kunst heißt Bewegung und die Bewegung der Kunst stellt sich als ein immer wieder stattfindendes Überschreiten der Grenzen des augenblicklichen Daseins dar. Um Neues entstehen zu lassen, ist ein gewaltsamer Akt notwendig: der Wirklichkeit den vermeintlich sicheren Boden zu entreißen; im freien Fall, das erfahren hier die "enfants terribles", zeigt die Poesie ihr Gesicht als Tod.
Orphée: Der Film von Jean Cocteau zeigt den Übergang zwischen der Unterwelt und der Oberwelt im Bild des Über­gangs von Bewusstem und Unbewusstem. Der Spiegel, an dem sich - Lacan zufolge - Reales und Imaginäres scheiden, ist durchlässig und undurchdringlich zugleich, Durchgang und Sperre.
Der Totensonntag: Hier sollen die Übergänge zwischen Leben und Tod, Alltag und Poesie, Text und Bild verschwimmen, die Perspektiven in Bewegung geraten. Wir laden dazu ein, dieses Experiment zu wagen und den Tag - von nachmittags an bis in die Nacht - mit uns, dem Reservat Homo sapiens, poeson und dem Tod zu begehen.

Vierte Woche: "Zwischenzustände: Im Angesicht des Todes"

Das letzte Wochenende ist Derek Jarman gewidmet. Im Mittelpunkt der zwei Vorführungstage steht sein Film "Blue", der am Motiv der Farbe Blau das Sehen aus der Perspektive des Blindseins beleuchtet und damit zugleich auch das Leben aus der Perspektive des Todes. Der Tod ist nicht schwarz, und zusammen mit der Fülle der Farbe Blau enthüllt sich auf der Leinwand die Fülle des nichts, das dem Tod als vermeintliches Attribut zukommt. Die letzte Etappe der Filmreihe ist also eine Vorausschau, in der eine "Perspektive des Todes" sich in dem doppelten Sinne zeigen soll, den das Motto andeutet.

Psychic TV / Wenn der Tod ... / Blue: Leichen sind Körper; Köper, die sich von lebenden Kör­pern dadurch unterscheiden, dass sie nichts darstellen, außer Körper. Sind Körper, die nichts als Körper darstellen, tot?
Glitterbug / Blue: Kein größerer Gegensatz als der zwischen ewiger Jugend und nahem Tod? "Viel hat sich verändert seit diesen Tagen in den frühen Siebzigern. Ich glaube nicht, dass dieses Leben wieder zu holen wäre. Die Warenhäuser gingen, sie wurden alle zer­stört. Diese Art des Lebens verschwand." Der Film Blue schließt den Kreis zum Ausgangspunkt dieser Reihe: Die Beständigkeit der Farbe Blau, die der Film zeigt, ist tatsächlich ständige Veränderung und Bewegung. Wie sich Beständigkeit im Wandel zeigt und umgekehrt, zeigt sich Leben im Tod und Tod im Leben. Zugleich lässt sich dieser Film wiederum als Ausgangspunkt zu weiteren und weitergehenden Reisen betrachten.